Zurück zur Übersicht

Wieso brauchen wir alternative Proteinquellen?

Unsere heutige Gesellschaft steht vor grossen Herausforderungen. Sie zwingen uns dazu, unseren Lebensstil zu überdenken, nachhaltigere Ansätze zu finden und diese in die Praxis umzusetzen. Ganz besonders betrifft das unser aktuelles Lebensmittelsystem. 

Wachsende Weltbevölkerung

Nach Schätzungen der FAO werden bis 2050 rund 9.7 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die Versorgung all dieser Menschen mit ausreichend Nahrung und vor allem hochwertigem Protein stellt uns vor grosse Herausforderungen. Durch die heutigen Ernährungsgewohnheiten in industrialisierten Ländern (viel Fleisch, wenig Gemüse) und die Art und Weise, wie wir unsere Tiere ernähren, kann diese Versorgung auf Dauer nicht für alle Menschen auf der Erde gleichermassen sichergestellt werden. Ausserdem geht die Bereitstellung von ausreichenden Mengen Protein bereits heute mit schweren Belastungen für die Umwelt einher. Das bedeutet, dass bei einer Zunahme der Weltbevölkerung die natürlichen Ressourcen unserer Erde weiter belastet werden und vor allem die Versorgungssicherung der ärmeren Länder immer schlechter wird.

Versorgung der Tiere

Zur Produktion von tierischen Lebensmitteln, wie Fleisch, Fisch, Eiern oder Milch, werden proteinhaltige Futtermittel, wie Soja- oder Fischmehl, benötigt. Die Produktion dieser Futtermittel führt zu einer Ressourcenverknappung und stellt eine Gefahr für die Nahrungssicherheit der Menschen dar. Dadurch wurden in den vergangenen Jahren die Preise für die wichtigsten Proteinfuttermittel (z. B. Sojaschrot, Fischmehl) in die Höhe getrieben. Dies hat zur Folge, dass sich die Produktionsländer diese Futtermittel selbst nicht mehr leisten können und vermehrt exportieren. Die Versorgungsengpässe mit proteinreichen Lebensmitteln in diesen Ländern werden dadurch weiter verschärft. Ausserdem hat die Bereitstellung proteinreicher Futtermittel zahlreiche negative Auswirkungen auf die Umwelt.

Soja

In den letzten fünfzig Jahren hat sich die weltweite Sojaproduktion von 27 Mio. Tonnen auf 269 Mio. Tonnen verzehnfacht. Hauptsächlich wird die Sojabohne in Asien, in den USA und in Südamerika angebaut und in Regionen exportiert, die ihren eigenen Bedarf aufgrund kälterer klimatischer Bedingungen nicht decken können. Die Schweiz kann beispielsweise nur 15 % ihres Rohproteinbedarfs zur Ernährung ihrer Nutztiere selbst bereitstellen. Die verbleibenden 85 % – rund 280’000 Tonnen Futtersoja pro Jahr – werden aus Brasilien importiert.

Die Versorgung mit Soja ist mit hohen Treibhausgasemissionen, einem hohen Wasserverbrauch, grosser Verschmutzung von Gewässern und Böden, extensivem Einsatz von Pestiziden sowie dem Verlust von Lebensräumen und Ökosystemen verbunden. Um die weltweite Nachfrage nach Sojabohnen decken zu können, wird jedes Jahr eine große Fläche Regenwald gerodet. Im Jahr 2020 wurde ein Verlust von 17.000 km2 brasilianischen Regenwaldes verzeichnet – das entspricht einer Fläche von etwa 24 Fussballfeldern. Die Abholzung von Tropenwäldern und die Umwandlung von Savannen und Grasland in Monokulturen für die intensive Landwirtschaft führt zu einem Verlust natürlicher Ökosysteme und des Lebensraums der indigenen Bevölkerung sowie einem massiven Rückgang der Artenvielfalt. Zusätzlich zum Verlust ihrer Heimat verlieren die lokalen Kleinbauern durch die Ansiedlung von Grosskonzernen oft ihre Lebensgrundlage. Die Abholzung von CO₂-absorbierenden Regenwäldern und N₂O-Emissionen aus der Stickstoffzufuhr, der Düngung und der Mineralisierung von Bodenmaterialien, tragen erheblich zu den Treibhausgasemissionen bei. Eine weitere ökologische Konsequenz des Sojaanbaus ist der hohe Wasserbedarf. Obwohl der Bedarf von Region zu Region sehr unterschiedlich ist, führt der intensive Anbau zu einem schweren Wassermangel, vor allem in den Ländern, die bereits von der Dürre bedroht sind. Unzulässige Pestizide und Düngemittel gefährden zudem die Kontamination des Grundwassers.

Fischmehl

Neben Soja war Fischmehl lange eine der wichtigsten Proteinquellen in der Ernährung von Nutztieren, wie Hühnern und Schweinen. In den 70er Jahren stieg jedoch die Nachfrage nach Fisch als Lebensmittel, wodurch die industrielle Aquakultur wuchs und die Preise für Fischmehl zunahmen. Ausserdem schränkten die EU und die Schweiz die Verfütterung von Tiermehl an Nutztiere aufgrund der BSE-Krise stark ein. Seit einigen Jahren ist der Einsatz in der Nutztierernährung unter bestimmten Bedingungen wieder erlaubt. Trotzdem wird Fischmehl, aufgrund des hohen Preises, weniger häufig als proteinreiches Futtermittel für Nutztiere eingesetzt. Eine hohe Nachfrage nach Fischmehl besteht dagegen in der Zucht von Speisefischen und Garnelen. Leider ist die Bereitstellung von Fischmehl nicht weniger umweltschädlich als die des Sojamehls. Auch, wenn es mittlerweile nachhaltigere Ansätze zur Produktion von Fischmehl gibt, wie die Verarbeitung von Abfällen aus der Speisefischzubereitung, wird noch immer gezielt Fischerei betrieben, um Fischmehl herzustellen. So wurden in den letzten Jahren weltweit jährlich ca. 30 Mio. Tonnen Fischmehl produziert – der grösste Anteil davon aus Beifang der Fischerei. Das trägt unweigerlich zur Überfischung der Weltmeere bei und bedroht die marinen Ökosysteme. Denn zur Produktion von 1 kg Fischmehl werden 5kg Fisch aus Beifang benötigt.

Lebensmittelverschwendung

Zusätzlich zu der Herausforderung, alle Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen, ist der Mensch ein Meister im Verschwenden. Jedes Jahr fallen, vor allem in industrialisierten Ländern, grosse Mengen an Lebensmitteln an, die nicht als solche genutzt werden. Allein in der Schweiz und in Liechtenstein entstehen rund 2.8 Mio. Tonnen Lebensmittelabfälle pro Jahr. Global betrachtet werden jährlich sogar 1.6 Mrd. Tonnen Lebensmittel verschwendet. Gleichzeitig hungern mehr als 800 Mio. Menschen auf der Welt – unfassbar, denn die Lebensmittelverschwendung in Industrieländern ist unmittelbar mit der Not der Menschen in den Entwicklungsländern verbunden. Die zunehmende Nachfrage nach Lebensmitteln führt dazu, dass die Anbauflächen in den Produktionsländern knapp werden und als Konsequenz die Preise für die entsprechenden Nahrungsmittel steigen. Lokale Kleinbauern können sich die eigenen Produkte selbst nicht mehr leisten und müssen auf günstigere, meist minderwertigere Lebensmittel zurückgreifen. Darüber hinaus gehen rund 10 % der Treibhausgasemissionen reicher Länder auf die Lebensmittelverschwendung zurück. Diese treiben den Klimawandel weiter voran, führen zu Überschwemmungen und Dürre in den Anbauländern und lassen durch ausbleibende oder kleine Ernten die Preise weiter steigen.

Ein wichtiger Ansatz, dem entgegenzuwirken, ist es, weniger Lebensmittel zu verschwenden. Dies, indem strukturierter eingekauft, Lebensmittel besser gelagert und nicht direkt nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatum entsorgt werden. Daneben sollten aber auch die Ansprüche der Konsumenten gesenkt werden. Denn mehr als die Hälfte aller Lebensmittelabfälle entstehen, bevor diese Lebensmittel überhaupt beim Verbraucher auf dem Teller landen. Beispielsweise der Apfel, der nicht so rund ist, wie alle anderen. Aber auch die Tortellini, die vielleicht nicht hübsch geformt und geschlossen sind. Diese Lebensmittel landen, zusammen mit vielen anderen Nebenströmen aus der Lebensmittel- und der Agrarindustrie, jeden Tag im Abfall von produzierenden Firmen und werden nur in manchen Fällen wirklich wertschöpfend weiterverarbeitet. Ein Teil kann direkt als Tierfutter verwendet werden, ein anderer geht in die Biogasanlage. Bei letzterem geht viel Potential verloren – zum Beispiel als Nahrung für Insekten, um aus ihnen eine hochwertige Proteinquelle herzustellen.

Insekten als Lebensmittel?

Es stimmt, dass der direkte Verzehr von Insekten als Proteinquelle auch eine sehr gute nachhaltige Alternative für Fleisch und andere tierische Proteinquellen für Menschen darstellt. Aufgrund der weltweiten Verfügbarkeit von Insekten ist ihr Verzehr (Entomophagie) grundsätzlich auch weit verbreitet. Bei mehr als 2 Mrd. Menschen stehen sie täglich auf dem Speiseplan– vor allem in Afrika, Asien und Teilen Amerikas. In Europa werden essbare Insekten dagegen weniger toleriert, da viele Menschen sich vor ihnen ekeln und sie als unappetitlich empfinden. Das hängt vor allem mit unserer kulturellen Prägung zusammen und wird sich auch, trotz zunehmendem Umweltbewusstsein, so schnell nicht ändern. Umfragen haben allerdings ergeben, dass viele Menschen in Europa Insekten als Futtermittel für Nutztiere befürworten und auch die resultierenden tierischen Produkte kaufen würden, während sie die Insekten als Lebensmittel ablehnen würden. Daher macht es Sinn, die Insekten zunächst als alternatives Futtermittel einzusetzen und so indirekt unsere Ernährungsweise nachhaltiger zu gestalten und natürliche Ressourcen zu schonen.